Sonntag, 30. August 2015

Lebensumschwung durch Nahtod-Erfahrung

Mit 13, 14 Jahren hab ich mich zwar nach reiflicher Überlegung entschieden mich konfirmieren zu lassen, nicht, wie viele Gleichaltrige, um der zu erwartenden Geschenke willen, sondern weil ich an Gott glauben wollte. Und doch merkte ich, dass ich mich mit meinem "Glauben" auf reichlich dünnem Eis bewegte. So frug ich ob meines nicht-glauben-könnens wenige Jahre später meinen Vater (evangelischer Klinikseelsorger von Beruf) warum er an Gott glaube.
Da berichtete er mir von einem Erlebnis aus dem 2.Weltkrieg, das er selbst seiner Frau nie erzählt hatte:
Es war Januar oder Februar 1945 in der Nähe der heutigen polnischen Grenze. Die deutsche Armee war auf dem Rückzug und er hatte als Unteroffizier mit einem Trupp von acht Mann zu Fuß die Aufgabe gehabt, mit Panzerfäusten die heranrückenden russischen Panzer eine Weile auf zu halten. Ein nicht ohne Grund so genanntes "Himmelfahrts-Kommando".
Da fand er sich eines Morgens völlig allein im verschneiten Wald wieder. Und flüchtete sich über freie Felder hinweg zu einem Bauernhof, in dem er sich vor den Russen verstecken durfte.
Doch hatten diese seine Flucht bemerkt, fanden ihn dort zwar nicht, bedrohten aber die Bauern mit ihren Waffen, auf dass er heraus käme.
So wurde er gefangen genommen. Fünf, sechs russische Soldaten bekamen den Befehl ihn übers Feld zurück zum Wald zu bringen und ihn dort zu erschießen (da mein Vater fast besser Russisch als Deutsch konnte, er war in Estland aufgewachsen, verstand er jedes ihrer Worte). 
Umringt von dieser Schar Soldaten mit ihren entsicherten Pistolen, die sich alle auf ihn richteten, war er sich seines nahenden Todes gewiss. Dem Ernst des Augenblicks entsprechend betete er ein (vermeintlich) letztes Vaterunser. Da sah er sich plötzlich aus der Vogelperspektive selbst übers verschneite Feld gehen, umringt von den russischen Soldaten. Und während sein materieller Körper brav weiter lief (jede auffällige Bewegung hätte eine Kugel bedeutet), erlebte mein Vater eine vollkommene Lebensrückschau, die er mit einem Film verglich, der überraschend vieles enthielt, woran er sich sonst nicht hatte erinnern können. 
Dann kam ein "Tunnelerlebnis" und ein Empfangenwerden in einer unbeschreiblich himmlisch-überlichten und paradiesischen Atmosphäre. Die Wesenheit, die ihn da empfing, begriff er als Christus. Sie stellte ihm frei im Himmel zu bleiben oder wieder hinunter zu den Menschen zu gehen.... 
Ob der Lebensrückschau hatte mein Vater die Gewissheit, dass sein bisheriges Leben seinen Sinn noch nicht gehabt habe. Und so entschied er sich (gefühlt schweren Herzens) diese unausprechlich wunderbare Welt zu verlassen. So kam er wieder in seinen Körper, der inzwischen den Wald fast erreicht hatte.
Da kam, zu aller Überraschung, ein deutscher Geländewagen mit zwei deutschen Soldaten aus dem Wald gefahren. Sie ergaben sich sofort, boten den russischen Soldaten den Wagen an und hofften damit wenigstens ihr Leben zu retten.
Zum Glück waren es russische Soldaten, wie mein Vater betonte. Denn deutsche wären viel zu korrekt gewesen um den Erschießungsbefehl zu vergessen. 
Stolz, nun drei Gefangene und einen Geländewagen zu haben, zogen die russischen Soldaten ihrer Einheit entgegen.
Einerseits war mein Vater dankbar, gerettet worden zu sein, andererseits empfand er nun das Dasein in diesem Körper und hier auf der Erde als sehr viel unschöner als zuvor. Und so manches mal sehnte er sich zurück in jene paradiesische Welt. Doch war er sich gewiss, dass er nicht gerettet worden wäre, wenn sein Leben in der Zukunft keinen tieferen Sinn haben würde. Diese Gewissheit trug ihn nicht nur durch fast 5 Jahre (für viele andere: tödliche) Kriegsgefangenschaft, sondern bis an sein Lebensende durch viele Höhen und Tiefen! Und war ein stiller Quell für so manches Segensreiche, was zahllosen Menschen zuteil wurde, ohne dass sie von diesem Christus-Erlebnis je erfuhren, durch das mein Vater aber ein "anderer" Mensch geworden war.
Ich hatte nie Anlass auch nur den geringsten Zweifel zu haben, dass mein Vater das so erlebt hatte. Aber als Oberstufenschüler, der Mathe, Physik und Biologie liebte, bewies es mir nicht die Existenz Gottes und half mir damals nicht weiter. Ich war einfach zu materialistisch-naturwissenschaftlich geprägt. Erst Jahre später, nach eigenen spirituellen Erlebnissen, erschloss sich mir die innere Tiefe meines Vaters. Mein naturwissenschaftliches Denken erklärte sich sein Erlebnis zunächst mit biochemischen Extrem-Reaktionen seines Gehirns. Ohne dabei zu berücksichtigen, dass (körpereigene) Drogen nicht in der Lage wären mit einem Mal einen Menschen so durch und durch "umzukrempeln".
Vor und nach dem Krieg

Juli 1988

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